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„Über das Unbehagen mit Wissensmanagement…

…und wie es trotzdem funktionieren kann. Lessons Learned aus 20 Jahren Erfahrung“ – so der Titel der Key Note, die ich am 5. Februar 2019 bei der 5. Internationalen Tagung zu Qualitätsmanagement und Qualitätsentwicklung im Hochschulbereich in Graz halten durfte.

Der Vortrag wurde von Reinhard Gussmag grafisch umgesetzt (was für mich als Vortragende sehr spannend war). Hier nun das Graphic Recording, das dabei entstanden ist, viel Spaß:

Deep Reading

Bleiben wir ein wenig beim Thema Digitalisierung:

Gehören Sie auch zu den Menschen, die Texte, mit denen Sie sich intensiver beschäftigen, ausdrucken? Und kommen Sie sich dabei auch manchmal peinlich altmodisch und unfit for the digital age vor? Dann kann ich Sie jetzt beruhigen: Im Herbst letzten Jahres haben sich fast 200 Forscher aus ganz Europa im norwegischen Stavanger getroffen, um über die Zukunft des Lesens zu debattieren. Die Ergebnisse dieser Debatte haben sie in der Stavanger-Erklärung festgehalten. Dort können Sie nachlesen, dass Papier immer noch der beste Träger für lange informative Texte ist, vor allem wenn es um ein tieferes Textverständnis geht und darum, das Gelesene auch zu behalten. Diese Aussage stützt sich auf eine Meta-Studie, die 54 Einzelstudien mit mehr als 17.000 Teilnehmern ausgewertet hat. Tröstlich, wenn man selbst zu den Ausdruck-Dinos gehört.

Eher Besorgnis erregend ist eine weitere Erkenntnis: Bildschirmleser überschätzen ihr Leseverständnis offenbar maßlos, was dazu führt, dass Texte mehr überflogen als gelesen werden. Und dieses unkonzentrierte Überfliegen dehnt sich auch auf das Lesen auf Papier aus. Insgesamt wird also unser Leseverständnis, die Fähigkeit konzentriert zu Lesen schlechter.

Was sind die Gründe? Dazu muss man sich nur selbst beobachten: Beim Lesen am Bildschirm bleiben wir tatsächlich selten beim Text, zu viele Ablenkungen, z. B. aufpoppende E-Mails, Tweets, Erinnerungen usw., stören die Konzentration – und wir lassen uns stören. Dem kann natürlich jeder von uns selbst entgegenwirken, indem wir solche potenziellen Störquellen für das Lesen am Bildschirm ausschalten.

Das geringere Leseverständnis hat, laut der Stavanger-Forscher, aber auch andere, tiefer liegende und weniger einfach zu beseitigende Gründe. Zum Beispiel embodied cognition. Damit wird die Tatsache bezeichnet, dass die Wahrnehmung von Text auch über unseren Körper funktioniert. Und dieser erhält beim digitalen Lesen weniger Orientierung, z. B. das Gewicht der bereits gelesenen bzw. noch zu lesenden Seiten eines Buches in der rechten und linken Hand. Weniger Orientierung bedeutet weniger Erinnerungsanker, wie die Neurobiologin Theresa Schilhab von der Universität Arhus und eine der Unterzeichnerinnen der Stavanger-Erklärung erforscht hat. In digitalen Texten sind wir weitgehend orientierungslos und daher findet unser Erinnerungsvermögen wenig Ankerpunkte.

Die Stavanger-Gruppe will nun herausfinden, wie das digitale Lesen verbessert werden kann. Noch gibt es dazu keine Patentrezepte.

Übrigens, haben die Forscher auch festgestellt, dass die konzentrierte Rezeption kognitiv anspruchsvoller Texte schlichtweg Übungssache ist. Das hat nun wieder jeder von uns selbst in der Hand, gell?

Haben Sie es bis hierher geschafft? Und was konnten Sie sich aus dem – zugegeben recht langen – Blogbeitrag merken?

Digitale Selbstverteidigung

Haben Sie schon einmal den Begriff ‚digitale Selbstverteidigung‘ gehört? Dabei geht es weniger darum sich vor Hackerangriffen zu schützen, sondern darum sich vor dem ganz legalen Abgreifen von Daten zu schützen oder, wenn nicht zu schützen, so doch zumindest Transparenz darüber herzustellen, wer welche persönlichen Daten (wie) nutzt. Ist diese Transparenz doch Grundvoraussetzung im Sinne einer informationellen Selbstbestimmung selbst darüber zu entscheiden, ob diese Daten verfügbar sein sollen oder nicht. Auch wenn die Entscheidung zu einer Datenverweigerung in der Regel einen deutlichen Komfortverlust bedeutet.

Denn Social Scoring funktioniert vor allem deshalb so gut und so unwidersprochen, weil wir erschreckend bequem sind. Bei Social Scoring werden frei im Internet verfügbare persönliche Daten von Algorithmen verknüpft und zu einem Wert zusammengemischt. In China wird Social Scoring gerade in großem Maßstab eingeführt, um das Wohlverhalten der eigenen Bürger besser kontrollieren und letztlich erzwingen zu können. Gegen diese Sammelwut gibt es nicht nur deshalb kaum Widerstand, weil Widerstand in einem totalitären Regime selten eine gute Idee ist, sondern vor allem, weil es so schön bequem ist, eben online zu bestellen (und dabei Daten zu hinterlassen), mit Karte zu bezahlen (und dabei Daten zu hinterlassen) usw.

Wir müssen also gar nicht nach China schauen, um uns – ohne allzu große neurotische Veranlagung – an so manches Szenario aus Orwells Roman ‚1984‘ erinnert zu fühlen.

Wenn Sie nun Ihre digitale Selbstverteidigung stärken wollen, können Sie sich hier informieren:

Warum ist digitale Selbstverteidigung ein Thema in einem Blog zu Wissensmanagement? Nun, weil aus Daten Informationen generiert werden, aus denen dann Rückschlüsse gezogen und Überzeugungen gewonnen werden – Wissen eben – die Grundlage für Entscheidungen und Handlungen sind. Daher können wir auch als Wissensmanager das, was im Bereich das Daten, also am Fuße der wohl bekannten Northschen Treppen passiert, nicht ignorieren.

Macht die digitale Transformation Wissensmanagement obsolet?

Macht die digitale Transformation Wissensmanagement obsolet?
Bildquelle: integrify.com

Diese Frage stellte mir zum Jahresauftakt einer meiner Kunden in einem KM Strategy Talk, den wir regelmäßig führen. Anlass also, mich etwas intensiver mit dem Verhältnis von Digitalisierung und Wissensmanagement gedanklich auseinanderzusetzen. Hier meine Ideen (die Sie gerne kommentieren oder weiterführen dürfen):

  • Trotz vieler verheißungsvoller oder auch erschreckender Zukunftsszenarien, die mit Blick auf das maschinelle Lernen und künstliche Intelligenz entworfen werden, befinden wir uns beim Thema Digitalisierung in den Organisationen heute de facto nach wie vor auf der Stufe Daten- und Informationsmanagement. Wenn wir an die Northsche Wissenstreppe denken, kann eine wesentliche Aufgabe von Wissensmanagement darin bestehen, den Schritt von Daten und Informationen zu Wissen, zu unterstützen. Dieser ist m.E. derzeit noch in den meisten Szenarien ein zu tiefst menschlicher. Das ist nun gewiss nicht neu, doch wird diese Aufgabe aufgrund des (über)mächtigen Drucks, den die Fülle an Daten und Informationen ausübt, drängender. Dazu kann die Aufbereitung von Daten und Informationen, Stichwort Visualisierung, ebenso gehören wie das Erlernen der Kunst, die richtigen Fragen zu stellen und die Antworten zu verstehen. Wissensmanagement also unmittelbar an der (technischen) Schnittstelle zum Daten- und Informationsmanagement.
  • Nicht nur die Unternehmen, auch die Menschen sind mit der Daten- und Informationsflut überfordert (vgl. Artikel der RWTH Aachen). Der Bedarf an Überblickswissen, an Prozess- und Systemverständnis steigt. Auch hier kann Wissensmanagement Nutzen stiften:
    • in einer zunehmenden Verschmelzung von Wissensmanagement und Personalentwicklung im Sinne eines corporate learning durch die Unterstützung prozessintegrierten und kontinuierlichen Lernens
    • durch die Befähigung zum persönlichen Wissensmanagement (auch mit dem Ziel einer ausgeprägten Ignoranzkompetenz) mit dem Ziel der produktiven Wissensarbeit
    • durch die Unterstützung einer Vernetzung der Köpfe als Gegenpol zur Vernetzung von Daten und Informationen; gerade in Zeiten der Digitalisierung ist der Community-Gedanke vielleicht einer der wirkmächtigsten
  • Natürlich wird auch die Zusammenarbeit immer stärker virtualisiert (dezentrale Teams, mobiles Arbeiten usw.). Vielleicht ist ja Virtualisierung viel eher das Neue, das wir aktuell erleben, und nicht die Digitalisierung, die ja im Grunde mit dem Rechnerzeitalter schon vor Jahrzehnten begonnen hat. Aber das ist ein anderes Thema. Für die Kollaboration in virtuellen Teams und Netzwerken gibt es zahlreiche smarte IT-Tools, doch auch hier erleben wir in vielen Organisationen ein Scheitern, weil der Bedarf an Orientierung nicht erkannt, oder nicht akzeptiert wird. Hier kann Wissensmanagement konkrete Use Cases, gegebenenfalls heruntergebrochen auf entsprechende Templates, entwickeln, die diese Form der Kollaboration und des Wissensaustausches optimal unterstützen. Mit Blick auf den Einzelnen passiert etwas ähnliches ja gerade mit den so genannten digital workplaces. Auch hier sollte Wissensmanagement seine Perspektive einbringen, denn der digital workplace ist in erster Linie ein knowledge workplace.
  • A propos, workplace: Bei aller Digitalisierung und Virtualisierung hat in den letzten Jahren auch die Frage nach der besten physischen Arbeitsumgebung mächtig Fahrt aufgenommen. Organisationen investieren deutlich in neue Bürokonzepte usw. Auch hier kann und sollte sich Wissensmanagement einbringen: Wie können Kommunikation und Wissensfluss, aber auch konzentrierte individuelle Wissensarbeit durch entsprechende räumliche Settings unterstützt werden?
  • Und schließlich, bleibt eine alte Herausforderung nicht nur erhalten, sondern gestaltet sich in Zeiten rasanten Wandels und anflutender Daten und Informationen ungleich drängender, nämlich die Frage nach dem relevanten Wissen – für die Organisation genauso wie für den Einzelnen, mit Blick auf Hier und Heute genauso wie mit Blick auf die Zukunft. Es wird Zeit, Wissensmanagement als strategischen Akteur zu positionieren!

Zum Nutzen von Wissen

An diesem Wochenende habe ich an der Universität Passau für Studierende ein Seminar zu persönlichem Wissensmanagement gegeben. Als kleine Übung sollten Sie eine Concept Map zum Thema „Persönliches Wissensmanagement“ erstellen. Auf einer der Maps habe ich mich über folgende Beziehung zwischen den Knoten „Wissen“ und „Ziele“ sehr gefreut: Wissen verwirklicht Ziele.

Die Project Handover Map

Die Project Handover Map
Budapest

In der letzten Woche habe ich am ungarischen Standort eines deutschen Kunden ein Training zur Methode Expert Debriefing gehalten, also zum Wissenstransfer beim Wechsel bzw. Weggang von Mitarbeitenden. Wir waren gespannt, inwieweit diese Methode, die sich in den letzten Jahren im deutschsprachigen Raum bewährt und verbreitet hat, auch in einem internationalen Kontext funktionieren kann. Für alle Debriefer die beruhigende Nachricht: sehr gut – zumindest in einem Kontext, der dem deutschen noch nicht allzu unähnlich ist.

Interessant während dieses Trainings war jedoch vor allem eine andere Sache: Wie auch schon bei Trainings an den deutschen Standorten des Konzerns war ein Handover im bzw. von Projekten stark im Fokus. Also weniger der Transfer einer gesamten Job Role mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen als vielmehr die Übergabe eines Projekts insgesamt oder aber einer (tragenden) Rolle in einem noch laufenden Projekt.

Die Mitarbeiterin meines Kunden, die lokal in Budapest das Expert Debriefing sehr engagiert vorantreibt, hatte sich dazu bereits Gedanken gemacht, die wir im Workshop gemeinsam reflektiert und die ich im Anschluss noch einmal modifiziert habe. Die Idee ist, eine angepasste Grundstruktur der Mindmap dem Debriefing-Prozess, der weiterhin aus einer Reihe von Gesprächen / Interviews bestehen wird, zugrunde zu legen. Hier der aktuelle Stand der Überlegungen:

(c) Gabriele Vollmar

Wie ist Ihre Meinung? Haben wir an die wesentlichen Punkte für eine Projektübergabe gedacht?

Ich freue mich auf ein kurzes Feedback.

P.S.: Wenn Sie sich grundsätzlich für die Methode Expert Debriefing für den Wissenstransfer beim Personalwechsel interessieren, finden Sie hier ein kurzes Erklärvideo.

 

 

 

Zum Glück gibt es Probleme

Haben Sie auch schon mal Folgendes gehört? „Ich will nichts von Problemen hören. Komm wieder, wenn du eine Lösung hast!“ Lösungsorientierung, seit Jahren das Zauberwort in Organisationen. Dabei sollten wir vielleicht eher eine offene Problemorientierung fördern, und zwar im Sinne eines nachhaltigen Lernens.

Dazu einige Zitate als Denkfutter für diese Woche:

„Probleme erweitern die Grundlage unserer Erfahrung und helfen uns so, sinnvollere Lösungen zu finden.“ Dalai Lama

„The mere formulation of a problem is far more often essential than its solution, which may be merely a matter of mathematical or experimental skill. To raise new questions, new possibilities, to regard old problems from a new angle requires creative imagination and marks real advances in science.“ Albert Einstein

„Es ist besser, ein Problem zu erörtern, ohne es zu entscheiden, als zu entscheiden, ohne es erörtert zu haben.“ Joseph Joubert

Also, stellen wir uns den Probleme und damit den Herausforderungen, aber auch Möglichkeiten (zu lernen), die sie uns bieten!